Lukas war außerdem derjenige, der als erster von uns Abitur gemacht hat. Nach insgesamt 15 Jahren, aber immer noch schneller als wir. Nur wollte er überhaupt nicht studieren, sondern nur seinen jüngeren Geschwistern Vorbild sein. Er nahm über die Jahre jede Arbeit an, die ihm unter die Finger kam, vom Recycling-Hof, wo er vorsortierte Rohstoffe zuordnete, über Bademeister im Freibad bis zum Busfahrer, als es in Vilshofen eine innerstädtische Linie gab. Als die eingestellt wurde, fuhr er eben Taxi. Zur Entwöhnung, wie er meinte. Ich weiß nicht, ob er insgeheim vielleicht den Plan hatte, das Vilshofener Branchenbuch einmal durch zu arbeiten, und wie zum Beweis arbeite er dann für ein Jahr in der Buchhandlung am Stadtplatz.
Es mag keine Universalgelehrten mehr geben, wenn man vielleicht von Dr. Heßler absah, aber Lukas war ein Universalangestellter: egal was er auch anpackte, er biss sich durch, fand seine Nische, bis er sich wirklich wohl fühlte – und ging wieder. Der einzige Job, den er jemals abgelehnt hatte, war der im Sägewerk gewesen. Sein Berufstraum vom Bassisten blieb die ewig klaffende Lücke in seinem Lebenslauf.
Anfangs hatte er noch in Coverbands gespielt, aber nach ein paar Jahren gab Lukas selbst das auf. „Woast, de Coverbands bei uns san nia üba 1989 hinaus kemma. Die spuin heid no de gleichn 80ger Jahre Hits. Als woitns unbedingt in de Zeit vorm Mauerfall zruck. Da hob is aufgem.“
Es ist vor Mitternacht, aber mir fallen trotzdem schon die Augen zu. Das ist dann die Kehrseite des frühen Vogels, nehme ich an. Morgen habe ich frei, und ich geh trotzdem ins Bett. Was stimmt nur nicht mit mir?
© Jens Prausnitz 2022