16. Dezember 2019 – Spätschicht

Denn wer sich für eine Fähre entscheide, um einen Fluss zu überqueren, der nimmt auch in Kauf ein wenig auf die Überfahrt warten zu müssen. Wem das nicht passt, dem stünde es ja frei zur nächsten Brücke zu fahren. Wer aber ein Fährticket bei ihm löse, der erkaufe sich damit nicht nur die Überfahrt selbst, sondern auch die Zeit, die er damit einspart. Wie er die verbringt bleibe jedem Fahrgast selbst überlassen. Warten gehöre dazu, die Entschleunigung, das Innehalten. Einfach mal den Fluss und das Wasser auf sich wirken lassen.
Ab wann und wo wäre es denn gerechtfertigt für jemanden umzudrehen? Wenn man schon einen Kunden an Bord hat, ist man zuerst dem verpflichtet. Natürlich ist das knifflig, wenn man auf der Fähre eigentlich Platz für 2 Autos hat. Für ihn wäre es theoretisch schon besser immer gleich zwei über zu setzen, aber ob man die gleichzeitig oder nacheinander ans andere Ufer bringe, spiele dabei keine so große Rolle, man hat ja die Zeit. Anders sähe es aus, wenn auf der anderen Seite auch schon jemand auf einen wartet. Wenn der sieht, dass man gerade abgelegt hat, dann wartet er doch eher auf einen, als wenn man nochmal kurz umkehrt. So habe man am Ende sogar größere Chance insgesamt drei Autos überzusetzen, und nicht zwei. „Mei, des is ja wia mit dem Woif, dem Schaf und dem Kohlkopf!“
„Das habe ich gleich gelöst. Aber genau so ist es. Es ist nicht nur logischer, sondern auch schöner.“
„Und die Rechtsfrog? Weil’d Tochter vo dem war minderjährig.“
„Ich bin kein Anwalt. Oder Polizist. Was soll ich mich da einmischen? Nach einer bedrohlichen Situation sah es für mich nicht aus. Eher dann, wenn ich umgedreht wäre. Der sollte sich erstmal einkriegen. Außerdem hattet ihr schon für die Überfahrt gezahlt, und der Kunde ist bei mir König, oder meinetwegen auch Kapitän“, grinste er.
Moment, hatte Daniel nicht erzählt, dass der Fährmann fast so breites Bayrisch sprach, wie Lukas? Ach ist jetzt auch egal.

Lukas brachte wahrscheinlich die richtige Ruhe mit. Im Herzen war auch er ein Fährmann, einer, der immer auf der Brücke stand, dem kein Windhauch entging, der jeden Sturm aufziehen sah. Jeden Eisberg meldete er zuverlässig. Ein echter bayerischer Kapitän, in der Tradition von Achternbusch, Polt und Zimmerschied. Bei denen habe ich auch lange nicht begriffen, warum die stur in Bayern blieben, anstatt dorthin zu gehen, wo sie besser verstanden und geschätzt wurden. Sie blieben unbeirrt genau da wo sie waren, und da sind sie heute noch.
Solche wie ihn kann man nur lieben, und immer noch überall in Bayern antreffen, wenn man denn nach ihnen sucht. Sie sind wirklich dort zu Hause und glücklich. Sie haben ihren Frieden mit der Welt gemacht, und zu ihrer Erleuchtung reichte ein Stein, über den sie stolperten, oder ein Radl Wurst am Gaumen. An solche Bayern denke ich, wenn ich das Wort Heimat höre, und wenig überraschend ist keiner von ihnen Politiker.

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