„Wieso denn nicht? Du hast doch eben gesagt, dass es eh jedes Mal dasselbe wäre.“
„Schon, aber ich muss vorher hingehen, und bin damit nicht alleine zu Hause“, seufzte sie. “Ich verrenk mir nur den Kopf, wenn ich dabei auf einen Bildschirm guck, der umkippt wenn ich versehentlich dran komme. Vielleicht sind dann auch die Kreuzschmerzen weg, dafür tun wahrscheinlich die Augen weh – nein, danke. Außerdem würde ich von jetzt an immer an diese Sache denken, wenn ich ihre Schenkel sehe, und das möchte ich nicht.“
Immerhin habe ich jetzt eine bessere Idee, was ich Mama zu Weihnachten besorge. Ich werd ihr kein Buch kaufen, sondern einen Gutschein für einen Yoga-Kurs. Am besten geleitet von einem Kerl in Spandexhosen aus den 80ern, dessen Klöten sich deutlich abzeichnen, wenn er sich bückt. Und zur Sicherheit schenke ich dem vorher noch eine CD mit den größten Hits von Hildegard Knef, selbst wenn er das als Anmache interpretiert.
„Meinst du, es wäre eine gute Idee, wenn ich ihr als Entschuldigung einen Gutschein für eine Reinigung zukommen lasse?“
„Willst du ihr signalisieren, dass sie schmutzig ist?“, wollte Mutter wissen.
„Nein, um Himmels Willen. Dann vielleicht ein Einkaufsgutschein?“ „Weil sie schlecht angezogen war?“
„Nei… doch, ja. Fand ich schon.“
Mutter seufzte. „Junge, damit machst du es nur noch schlimmer.“ Gut, dass ich meine ursprüngliche Idee mit einem Strauß roter Rosen in einem Regenschirm für mich behielt, aber da war sogar mir aufgegangen, dass ich damit wahrscheinlich nur das nächste falsche Signal senden würde. Manchmal ist eine Funkstille vor der Entschuldigung wichtiger, als die Entschuldigung selbst.
Lukas hat mal gesagt, dass er sich in Vilshofen deshalb wohl fühlt, weil wir dort mehr bei ihm sind, in seiner Erinnerung, als in Wirklichkeit. Dort könnten wir jeden Tag hinter einer Ecke auftauchen, und das fühlt sich für ihn angeblich besser an, als die Wahrheit: Wir haben ihn dort sitzen lassen. Und jede Geschichte, die ihn von uns erreicht, webt er dort mit ein, als sei sie in Vilshofen passiert. Für ihn gehört das zusammen. Wenn er mich in Aachen besuchte, war das nicht mehr als ein gemeinsamer Ausflug, und ich kehrte mit ihm nach Hause zurück.
Ob es eine so gute Idee war, dass er in unsere alte Wohnung gezogen ist, und dann in meinem Zimmer wohnte? Wobei auch das schon wieder Jahre zurück liegt. Seine Wohnungen hat er ja fast so oft gewechselt, wie seine Jobs, aber das kümmerte ihn nicht weiter.
Das einzige, was für Lukas eine Rolle spielte, waren die Freundschaften, die er pflegte. Nach uns war noch eine hinzu gekommen, hatte aber ihren Ursprung auch in den damaligen Ereignissen gehabt: die zum Fährmann in Sandbach. Die beiden haben sich angefreundet, und bis heute springt Lukas noch manchmal für ihn ein, damit er mit seiner Familie in Urlaub fahren kann. Das ist der einzige Job, zu dem er bis heute immer gerne zurück kehrt. Da muss eine geistige Verwandtschaft vorliegen, die sich mir noch nicht erschließt. Bei ihm hat er sogar seine Angst vor fließenden Gewässern abgelegt.
Die Ereignisse damals hat der Fährmann Lukas so erklärt: Wenn einer tobt, wie Anton Rothe, dann zeigte ihm das nur, wie sehr die Ruhe nötig haben. Es sei auch seine Pflicht potentiellen Fahrgästen die Zeit zu geben, die sie bräuchten, um sich zu beruhigen. Das sei sogar gratis, denn bezahlen lässt er sich ja nur die Überfahrt.