12. September 2019 – Nachtschicht

Kinder sollten keine Angst vor ihren Eltern haben, niemals. Es sollte immer nur andersherum sein, wie bei mir. Meine Mutter hatte Angst um mich, es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre gestorben. Dann wäre sie ganz allein gewesen. Danach war alles besser zwischen uns, und sie war nicht mehr nur meine Mutter, sondern auch irgendwie eine Ersatzmutter für Daniel und Lukas gewesen, wie sie sich ihre eigenen gewünscht hätten. Das machte mich sogar ein bisschen eifersüchtig, ich hatte schließlich nur meine Mutter, und wollte sie nicht noch mit anderen teilen müssen. Aber die beiden waren für mich mehr wie die Brüder, die ich nie hatte, darum war das am Ende schon auch ok so. Diese drei sind für mich immer meine Familie gewesen, und inzwischen sind es auch Nadine – shit – Nadja! Nadja, Dennis und Clara. Blut mag dicker als Wasser sein, aber Liebe schwimmt immer oben auf. Und gerinnt nicht. Also so wie Spüli? Sie baden gerade ihr Herz darin…

Wieder habe ich fälschlicherweise geglaubt, ich sei darüber hinweg, und jetzt stehe ich da und weiß, dass ich sie immer noch liebe, immer lieben werde. Für mich wird sie immer Nadine bleiben, egal wie oft ich Nadja höre. Für Clara und Dennis ist sie Mama, wenn ich bei ihnen bin, und wie Daniel oder alle anderen jeden verdammten Tag seit 30 Jahren Nadja zu ihr sagt, höre ich ja nicht. Daniel hat es sich natürlich angewöhnt, wie könnte er auch anders? Aber ich muss mich jedesmal zusammenreißen, es mir förmlich auf die Handinnenfläche schreiben, weil sie in meinem Kopf immer Nadine geblieben ist, und immer bleiben wird. Vor jeder Schlüsselübergaben zu Beginn meiner Zeit mit Dennis und Clara habe ich deswegen einen Bammel. Und am Ende ebenso.

Apropos Schlüssel, es ist Zeit für die zweite Schlüsselrunde, die Sonne geht schon auf. Ich laufe durch die leeren Räume der Klinik, überprüfe wieder die Türen und Durchgänge, als ob sie über Nacht heimlich von Kobolden geöffnet worden wären, um kleine Kinder zu stehlen. So haben wir es auch immer in Berlin gespielt, als die beiden noch klein genug waren, um an Kobolde zu glauben, die sich auch von dem ernährten, was uns beim Kochen und Essen unter den Tisch fiel. Es hat lange gedauert, bis sie dahinter kamen, das ich grob durchfegte und fleckenweise aufwischte, während sie schliefen. Hier waren keine Kobolde mehr am Werk, die Klinik ist einfach zu groß. Aber ich vermisse sie ein bisschen.

Dennis und Clara sind keine Kinder mehr, die vor der Welt beschützt werden müssen, vor Kobolden, oder Fakten. Sie sind es doch, die deswegen versuchen die Welt zu retten! Dazu brauchen sie den Zugang zu allen Informationen, die sie nur kriegen können, selbst wenn die vielleicht auf den ersten Blick nichts mit alledem zu tun haben.

© Jens Prausnitz 2022

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