12. September 2019 – Nachtschicht

„Was?“ So eine Scheiße, ist mir das rausgerutscht? Muss wohl.
„ Sie haben uns gelöchert ohne Ende, ob du damit vielleicht Nadja gemeint haben könntest.“
„Warum sagt ihr es ihnen nicht einfach? Sie sind alt genug.“
Daniel stockte. „Spinnst du? Nach all den Jahren? Was soll das denn bringen?“
„Weil es die Wahrheit ist? Sie sind doch inzwischen alt genug.“
„Das ist nicht deine Entscheidung, Johann.“
„So habe ich das auch nicht gemeint.“
Ich kann mich nicht erinnern, Daniel schon mal so geschockt erlebt zu haben. Oder sauer. Außer auf seine Eltern. Und unsere Lehrer. Und halb Vilshofen.
„Daniel, sie sind jetzt so alt wie wir damals.“
„Das ist was anderes!“
„Ist es nicht. Und sie sind schlauer, als wir es je waren. Du klingst fast schon wie – -“ Ich biss mir auf die Zunge. Mir musste schnell was einfallen.
„Wie wer? Sag schon, spuck es aus!“
„Du weißt schon. Wie unsere Eltern.“ Da. Ich hatte tatsächlich den leisen Teil laut gesagt. Wie wahrscheinlich bei den Zwillingen auch.
„Wie meine Eltern, wolltest du doch sagen, gib’s zu!“
„Daniel, ich – -“
„Du hast echt keinen Schimmer, was du angerichtet hast!“
„Es war ein Versehen, ok?“
„Nein, gar nichts ist ok. Von wegen Versehen, du Schwerenöter. Ich muss jetzt.“ Und er hängte auf.
Das tat weh. Zwei heftige Fettnäpfchen an einem Tag, und ich war noch nicht mal auf Arbeit. War es wirklich so schlimm, dass sie erfuhren, dass Nadja früher Nadine hieß? Ich mein, sie wussten, dass wir uns in einem Flüchtlingslager kennengelernt hatten. Nur eben angeblich in Passau, nicht in Vilshofen. Passau war insofern besser, als dass die Nibelungenhalle, in der sie angeblich waren, in der Zwischenzeit abgerissen worden war, und es somit dort auch nichts mehr zu besuchen gab. Und falls doch, war Passau immer noch weit genug von Vilshofen weg. Das war die offizielle Version, auf die wir uns vor 17 oder 18 Jahren geeinigt hatten, als die beiden noch im Bauch waren, und ich ihnen versprach, dass ich ihnen helfen würde. Da wussten wir nicht einmal, dass sie zu zweit sind.

Nein, ich glaube der Wunde Punkt war, dass ich seine Eltern angesprochen habe. Um das Thema machen wir einen Bogen, genauso wie um die von Nadine, denn Nadja hat ja keine mehr, von denen sie wüßte, genau wie Daniel. Und ich halte als Ersatz her, weil sie sonst niemanden haben. Patenonkel, Opa und Mädchen für alles.

Warum habe ich mich überhaupt auf diese Lügengeschichte eingelassen? Daniel ist mein bester Freund, und ich seiner. Jedenfalls war ich das bis heute, glaube ich.

Dennis und Clara vermissen es Großeltern zu haben, stattdessen haben sie nur mich. Das fanden sie zwar super, nur die Fragen blieben. Vor allem weil sie schon von kleinauf spürten, dass da mehr war, das man ihnen nicht sagen wollte, dass man ihnen etwas verheimlichte. Ihre Eltern seien Waisenkinder in der DDR gewesen, hätten einander dort kennengelernt, sich ineinander verliebt, geheiratet und wären dann über Ungarn geflohen. Das war zwar schön knapp, leicht zu merken, aber halt gelogen. Und obendrein schlecht gelogen.

Schreibe einen Kommentar

Schön, dass Sie kommentieren wollen, herzlich Willkommen! Vorher müssen Sie allerdings noch der Datenschutzerklärung zustimmen, sonst geht da nix. Danach speichert die Webseite Ihren Namen (muss gar nicht der sein, der in Ihrem Ausweis steht), Ihre E-Mail Adresse (egal ob echt oder erfunden), sowie Ihre IP-Adresse (egal ob echt oder verschleiert - ich hab keine Ahnung, ob Sie von Zuhause oder aus einem Internet-Café schreiben). Anders ist es mir nicht möglich zu gewährleisten, dass Sie hier kommentieren können, worüber ich mich sehr freue - denn es ist sehr frustrierend mit den mich sonst erreichenden, meist verwirrenden bis sinnfreien Werbebotschaften allein gelassen zu werden. Vielen Dank dafür, dass Sie da sind!

Noch ein kleiner Hinweis: Kommentieren Sie zum ersten Mal, erscheint Ihr Kommentar erst nach einer Prüfung des Inhalts, einzig um Spam von der Seite fern zu halten, in der Regel dauert das nicht länger als 24 Stunden - dabei handelt es sich nicht um Zensur, sondern um das limitierte Zeitfenster der berufstätigen Person hinter diesem Blog, die Ihnen den ganzen Krempel gratis zur Verfügung stellt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und auf zur Checkbox.