Tja und Daniel… oh Mann. Auch das war eine Geschichte, wie man es sich unnötig schwer machen kann. Wobei das im Nachhinein zu sagen leicht fällt. Die Geheimhaltung rund um unsere Kontaktaufnahme nach ihrer Flucht war natürlich übertrieben, aber hat sich damals richtig angefühlt, und uns ein Gefühl von Sicherheit gegeben. Vielleicht weil Geistler sich davon genauso hatte anstecken lassen, ich weiß es nicht.
Jedenfalls fing es damit an, das einer seiner jungen Kollegen aus der DDR in Mönchengladbach einen Einberufungsbescheid bekam. Im Westen! Da hat es Daniel mit der Panik zu tun bekommen – scheiße, was wenn sie ihn jetzt auch einziehen? Was wird dann aus Nadine? Ihre Beteuerung, dass sie zusammen schon klar kommen würden, beruhigte ihn nicht. Stattdessen aber die Idee nach West-Berlin zu gehen, das Mekka der Totalverweigerer. Nadja war überhaupt nicht davon begeistert wieder in den Osten zu gehen.
„Es heißt West-Berlin!“, beharrte Daniel. „Liegt aber dummerweise mitten in der DDR.“
„Die Mauer ist gefallen und Deutschland bald wiedervereinigt.“ „Ich trau der Sache nicht, Daniel.“
So oder ähnlich drehten sie sich im Kreis. Daniel war mit seiner Familie früher so oft umgezogen, dass es ihm nichts ausmachte, aber Nadine setzte das zu. Sie hatte endlich das Gefühl gehabt wo angekommen zu sein, und jetzt sollte es schon wieder weiter gehen?
Daniel war da Zuhause, wo Menschen waren, die er liebte und denen er vertraute, es waren nie die Orte selbst. Nadine brauchte auch ein Zuhause, in dem sie sich einrichten konnte, egal wie klein die Wohnung oder wie eng ihre Ecke war. Eine Kosmonautin braucht eine Bodenstation.
Dann gingen sie aber trotzdem nach Berlin, beide schweren Herzens, denn sie hatten sich in Mönchengladbach wohl gefühlt, ihre Wohnung war winzig gewesen, aber ohne Möbel fühlte sie sich für sie immer noch geräumig an, und die Kollegen waren toll. Verdammt, ich bin mir sicher wir wären uns früher oder später über den Weg gelaufen, wenn sie dort geblieben wären. Spätestens auf dem Rush- Konzert in der Sporthalle, Köln, aber er sah sie halt stattdessen in der Eissporthalle, Berlin. Aber so wiegte er sich in Berlin vor dem Zugriff der Bundeswehr in Sicherheit, bis er von den in diesen Belangen deutlich kompetenteren Kreuzberger Keinheimischen [!sic] erfuhr, dass sie als Verheiratete gar nichts zu befürchten hätten, da könne man sich von der Wehrpflicht befreien lassen. Für die Berliner war das viel zu spießig. Also beides: Wehrpflicht ernst nehmen und verheiratet sein. Was für Exoten ej. Eine Alternative wäre noch gewesen, das Nadja stirbt und Daniel alleinerziehend wird, nur war sie weder schwanger, noch beabsichtigte sie es zu werden, geschweige denn bei oder nach der Geburt zu sterben. Das Kind hätte man Daniel in Berlin besorgen können, hieß es, aber vielleicht haben sie sie auch nur damit aufgezogen und für ihre Naivität verhöhnt.
Allein auf die Ehe wollten sie sich dann nicht verlassen. Nicht das an ihrer Liebe ein Zweifel bestanden hätte, sondern weil das Papier, auf dem das stand ziemlich dünn und blass bedruckt war. Eine kirchliche Trauung hätte daran auch nichts geändert, es blieb einfach die Angst, dass sie jederzeit auffliegen könnten. Und dann waren sie Heiratsschwindler, und Daniel wehrpflichtig. Und da die Wehrpflicht erst mit der Vollendung des 60. Lebensjahres endete, galt es mit ihrer Tarnehe eben so lange durch zu halten.