Mein Wunsch dabei zu sein, wie Daniel Vater wird, ist dann ja tatsächlich wahr geworden. Also jetzt nicht direkt im Kreissaal, da durfte ohnehin nur der Vater mit dabei sein. Auch ohne meine Anwesenheit war es dort schon enger als gewöhnlich, denn zwei Kinder wollten im Abstand von nicht ganz vier Minuten begutachtet, gewogen und an die Mutterbrust gelegt werden. Meine Anwesenheit wäre selbst für Berliner Verhältnisse erklärungsbedürftig gewesen.
Daniel hat seine Sache auch ohne mich gut gemeistert, indem er Nadja einfach nur die zitternde Hand hielt. Auf der anderen sei er vorsichtshalber gesessen, um nicht versehentlich zu versuchen ihr eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen – was sie schon nicht leiden konnte, als sie noch Nadine hieß. Nach allem, was die beiden vorher durchgemacht hatten – also Nadja und Daniel, nicht die Zwillinge – habe ich mich doppelt für sie gefreut. Irgendwie war auf einen Schlag alles doppelt so gut wie zuvor, und es traf endlich die Richtigen.
Das war alles andere als selbstverständlich, dass sie es noch einmal mit einem Kind probiert haben, für mich grenzte das an ein Wunder. Ich hab es Daniel an der Stimme angehört, wie sich seine Sorge, es könne wieder auf den letzten Metern etwas schief gehen, verschwunden war. Sie klang zum ersten Mal seit 10 Jahren wieder so unbeschwert wie früher. Die Geburt markierte auch ein Ende für so viele andere Sorgen, mit denen sie viel zu lange schwanger gegangen waren. Den emotionalen Ballast so vieler Jahre warfen sie ab, weil die zwei Wonneproppen, um die sich nun zu kümmern hatten, alle anderen Probleme hinweg fegten.
Clara und Dennis sind auch einfach großartig. Ihre Fotos und Filmchen von der Demo gestern, die sie mir – na ja, mir und dem Rest der Welt – geschickt haben, machen mich auf eine tiefe Art und Weise glücklich, die ich nicht beschreiben kann. Nadine und Daniel muss es mindestens ebenso gehen, ich kann es mir nicht anders vorstellen. Mit solchen Kindern muss man einfach vor Stolz platzen. Weil sie alles besser machen als ihre eigenen Eltern. Das Wesentliche jedenfalls, weil sie alles mit ihnen teilen können, so wie ich mit meiner Mutter. Nur umgekehrt halten sie immer noch diese alte Lügengeschichte aufrecht, die sie eigentlich mal für andere erfunden haben. Aber die reproduzieren sie noch immer, aus reiner Gewohnheit, und jetzt sind ihre eigenen Kinder selbst in dem Alter, wie wir damals. Sie dürfen sie nicht länger anlügen. Es wird Zeit reinen Tisch zu machen. Dennis und Clara stellen zwar auch Ansprüche an ihre Eltern, bei denen selbst Ghandi die Nerven verlieren würde, aber wer will es ihnen verdenken sich für Weltfrieden und die Rettung des Planeten einzusetzen? Daniel und Nadja unterstützen sie dabei wo sie nur können, aber diese eine vergleichsweise banale Wahrheit bleiben sie ihnen immer noch schuldig.
Die Wahrnehmung der Kinder ist phänomenal. Kein Unrecht auf der Welt entgeht ihrem Blick, und um alles sollen sich die Erwachsenen gefälligst kümmern. Aber waren wir früher nicht mal genauso? Wir können zwar nicht mehr mit dem Tempo des Internets und den digitalen Medien mithalten, so wie unsere Eltern einmal vom Farbfernsehen und mehr als drei Kanälen überfordert waren. Ganz zu schweigen vom Sendeschluss. Heute läuft alle rund um die Uhr, es gibt keine Pausen zum Aufatmen mehr, die Clara und Dennis anscheinend nicht brauchen. Oder gar nicht erst kennen, aber das täuscht. Früher, als sie noch klein waren, sind sie auch wie aufgezogen umeinander gesprungen, und dann kippten sie fast ansatzlos in den Schlaf, als wäre das Kabel überspannt worden und am anderen Ende aus der Steckdose geflutscht.