Wobei gestohlen nur zur Hälfte stimmt, denn er hat sie ja gespendet: Ans Rote Kreuz und die Flüchtlingshilfe. Im Namen seines Vaters. PS: Aber er möchte bitte anonym bleiben, und verzichte auf die Spendenquittung.
Die Unterschrift zu fälschen war nicht schwer gewesen, die konnte er seit Jahren, aber anwenden konnte er sie eben nur ein einziges Mal, und der Moment dazu war jetzt gekommen. In doppelter Ausführung hat er es nur deshalb gemacht, um seinem Vater eine Kopie auf dem Tisch hinterlassen zu können.
Daniel hatte noch gezögert einen Ring seiner Großmutter mitgehen zu lassen, aber deren Verlust hätte er auch nicht mit einer kurzen Notiz erklären können, darum ließ er es. Seine Mutter liebte den Ring zwar, aber er war ihr zu eng, und ihn weiter zu machen kam nicht in Frage. Er sollte in der Familie vererbt werden. Tja, daraus wurde nichts mehr. Also schob er in der Schmuckkiste demonstrativ alles an den Rand, als hätten die Klunker den ganzen Raum dazwischen eingenommen, und legte den eleganten Ring in die frei gewordene Mitte. Vielleicht verstand seine Mutter, was er damit zum Ausdruck bringen wollte, und wenn nicht, war’s ihm auch egal.
Sein Vater würde auf den ersten Blick verstehen, wie die zwar nicht an ihn adressierte, aber von ihm selbst unterschriebene Botschaft gemeint war.
Das Bargeld reichte um sich für ein paar Tage ein Zimmer nehmen zu können. Das klang in der Theorie alles toll, sogar ein bisschen romantisch. Doch ohne Papiere in ein Hotel einchecken? Schon daran konnten sie scheitern. Ich hatte keine Verwandtschaft zu der ich sie hätte schicken können, keinen Brieffreund, nichts. Und die Brandls waren eh alle in Niederbayern geblieben, oder hätte sie Markus etwa auf dem Kasernengelände verstecken sollen? Wir waren verflucht. Was wenn sie in den Drogensumpf abstürzten, weil sie sich auf falsche Freunde einließen? Ich sah sie schon mit Überdosis auf dem Bahnhofsklo liegen, und musste die Bilder von Christiane F abschütteln, indem ich laut Axel F summte.
Uff. Scheiße. Eben war ein Kleinkind nach häuslicher Gewalt mit seinen Eltern in der Notaufnahme. Nach Mitternacht. Kein Zufall. Die Zeichen waren von Anfang an da. Der Typ roch förmlich schon nach Gewalt und einer eben nicht zu Ende gerauchten Zigarette. Wahrscheinlich weil er sie auf jemandem ausgedrückt hat. Diese Schweine wissen ganz genau, weshalb sie lieber immer in der Nacht angekrochen kommen. Sie wissen ganz genau, dass sie dann nicht gesehen werden. Und sie wissen ganz genau, was sie getan haben. Die Frau kleinlaut, sieht einem nicht in die Augen und immer wieder prüfend zu diesem Arsch.
Ah ja, sie hätte das Kind zu heiß gebadet und es nicht gleich gemerkt. Verbrühte Füße, wir werden die Brandblasen aufschneiden müssen, dabei würde ich dem Sack lieber seinen… aber stattdessen piepe ich den Dok an und höre mich selber was von „akuter Verbrühung 2. Grades“ sagen. Er fragt dann ob ich den Verdacht habe, dass es durch Fremdverschulden geschehen sei, als hätte er es schon an meiner Stimme gehört, und ich sage „Ja.“ Und zu den Eltern „Der Doktor kommt sofort.“ Wäre er schon im Behandlungszimmer gewesen, hätte er oder ich den Verdacht als „Ignivomus?“ geäußert, denn bei uns an der Klinik ist dieses lateinische Wort für Vulkan unser Codewort für Arschgeigen mit Gewaltpotential. Wenn jemand mißtrauisch wird und nachfragt, was das bedeutet, dann fragen wir, ob sich das Kind auch erbrochen hätte.