06. September 2019

„Wenn ich mal Kinder hab“, seufzte Daniel, „dann höre ich ihnen zu und bin für sie da.“
„Ich will keine Kinder haben“, entgegnete ich.
Daniel sah mich ernst an und sagte sehr langsam und leise: „Du wärst bestimmt ein guter Vater.“
Mein Blick fror am gegenüberliegenden Rinnstein fest.
„Und was, wenn doch mehr von meinem Vater in mir steckt, als ich wahr haben will?“
„Red doch keinen Scheiß, Johann.“
Red doch keinen Scheiß, Johann. Wie oft er mir das gesagt hat. Dabei stieß er mich immer mit der Schulter an. Ich weiß nicht warum, aber das half meistens. Dieser Schubs in eine andere Richtung. Nicht so, dass es sehr weh tat, aber doch genug um einen auf ein uns entgegen kommendes Auto aufmerksam zu machen, wenn wir wie so oft eine Waldstraße auf und ab liefen, bis wir wieder nüchterner wurden, mit dem Blick zu den Sternen.
„Wozu noch mehr Kinder in diese kaputte Welt setzen? Es gibt schon jetzt zu viele, um die sich keiner richtig kümmert.“
„Warte nur mal ab, bis du die Richtige triffst.“
„Halt die Klappe, Daniel.“
„Wie wär’s mit Brigitte? Oder halt, nein, warte!“ Er machte eine Pause. „Franzzz-zisch-kaaa!“
„Arschloch.“
„Ui, ui, ui, isch möschte disch küschen, Jo-ann – -“
„Du … trou du cul – géant!“
Wir lachten. Gut, dass Lukas nicht dabei war, denn der hasste es wie die Pest, wenn wir Französelten. Weswegen wir ihn natürlich manchmal erst recht damit aufzogen.
„Was, wenn es gerade dein Kind sein wird, dass die Welt retten wird? Für uns alle? Was dann?“
„Komm mir nicht mit der John Connor Nummer. Und was ist mit all den anderen Kindern, die ihr Potential nie ausleben? Was, wenn das Kind, das in ein paar Jahren die rettende Idee haben würde, gerade jetzt irgendwo auf der Welt verhungert? Oder geschlagen, geschüttelt, seelisch gebrochen wird?“
„Dann…“ Daniel wusste nicht weiter. „Warum musst du immer alles so schwarz sehen?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Hast du noch ne Zigarette?“
„Nein, verdammt!“ Er boxte mich in die Seite und stand ruckartig auf, dass es in seiner Tasche leise klapperte. Sein Blick ging zu den Sternen. Ich krieg jetzt noch Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Es war einer seiner großen Momente, die sich mir ins Gedächtnis eingebrannt haben, wie eine Tätowierung, die ein anderer für mich ausgesucht hat. Daniel nickte und sah mich an. „Auch wenn es jetzt gerade stirbt – was schrecklich ist -“ Er holte tief Luft und lächelte unwiderstehlich. „Dann lebt doch die Idee in ihm weiter, weil es als dein Kind wiedergeboren werden will.“
Ich hätte darauf antworten können, dass ich nicht an Wiedergeburt glaube, an Seelen, Religion oder Familie, dass ich mir nie wieder Hoffnungen machen würde, wie auf einen Vater, der genau an meinem Geburtstag vom Zigaretten holen zu mir zurück käme. Aber ich konnte es nicht. Ich wollte es nicht. Was ich wollte war dabei zu sein, wenn Daniel Vater wird, um dann seinen Kindern zu erzählen, wie glücklich sie sich schätzen könnten, gerade ihn und keinen anderen als ihren Vater zu haben. Unendlich viel. Das hätte ich ihm antworten sollen, aber es ist mir erst Monate später eingefallen.

Dafür habe ich es dann Jahre später tatsächlich seinen Kindern erzählt, und tue es heute noch.

© Jens Prausnitz 2022

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