Clara hat mir tatsächlich kein Rick Astley Video geschickt. Ich hab gestern nachgesehen, als der Film aus war, und ich immer noch nicht schlief. Es ist ein Video mit einem komischen, unaussprechlichem Kürzel im Titel, und dann irgendwas von 400 Triggern – da macht eine Asiatin Geräusche mit Haushaltsgegenständen und rasiert… einen Spülschwamm? Aber die Tonqualität ist herausragend, kein Rauschen, kein Nebengeräusch, nichts. Oder halt nur die Nebengeräusche prominent im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zum Einschlafen empfiehlt Clara mir aber ein anderes, das dauert über drei Stunden! Äh, hallo, ich wollte doch eigentlich schlafen? Okay. Das soll beim Einschlafen helfen. Meine Verzweiflung war groß genug, um dem wenigstens eine Chance zu geben.
Ich müsse dann über kurz oder lang nur herausfinden, was davon mich „triggert“, schreibt Clara. Dann bekäme ich vielleicht „Tingles“. Aha. Hä? Das wäre, wenn man so ein angenehmes Kribbeln am Kopf fühlen würde, das sich wellenförmig von dort aus über Hals und Schultern ausbreiten könne, nur dass Menschen dafür unterschiedlich empfänglich seien, viele leider gar nicht. Ah ja. Globuli für die Ohren, oder was? Ich hab so viele Fragen, trau mich jetzt aber nicht nachzufragen. Sonst schimpfen sie mich wieder, weil ich die E-Mail nicht gleich gelesen habe. Also den Aluhut eben selber basteln, na prima. Ich solle mir Kopfhörer aufsetzen, mich hinlegen, und warten, schreibt sie. Allerdings setzte ich mir die Kopfhörer nicht auf, damit ich mich nicht in der Nacht versehentlich strangulierte, klemmte sie aber mit meinem Kopfkissen gegen die Wand, und das hörte sich dann nach Regen an, und dann bin ich tatsächlich ziemlich schnell eingeschlafen, denn an mehr erinnere ich mich nicht. Ich weiß jetzt nicht ob’s an dem Video oder meiner Müdigkeit lag, es hat auf jeden Fall funktioniert, und dafür bin ich dankbar. Ich versteh’ zwar noch immer nur Bahnhof, werde mich aber heute Abend nochmal damit beschäftigen. Vielleicht. Irgendwas daran kommt mir merkwürdig vertraut vor, ich komm halt nicht drauf. Egal. Zur Sicherheit schreibe ich auch weiter, so lange ich nicht sicher weiß, was nun genau für diesen ersten Erfolg verantwortlich ist oder war.
Mama hat angerufen und nach meinem Dienstplan gefragt. Wir haben uns für nach meiner ersten Woche Nachschicht verabredet. Oder es versucht, denn an den Wochentagen hat sie natürlich wieder keine Zeit für mich, dabei ist sie es, die mich sehen wollte. Das ist so typisch, jetzt wird es eben der Samstag. Also vorläufig. Wahrscheinlich hat sie bis dahin auch schon wieder was anderes vor, ein Schachturnier im Altenheim organisieren, oder sowas.
Gestern habe ich von meiner engsten Familie geschrieben, dabei weiß ich eigentlich gar nicht, was das sein soll. Also im Klischee-Sinne von Mutter, Vater, Kind. Mama hat unseren Laden ja alleine geschmissen, und sie war in allem super. Hinterher jedenfalls. Zwar immer noch genauso allem Multitasking zum Trotz fünf Punkte hinter der täglichen Liste an Aufgaben zurück, aber mit mir an erster Stelle. Wie ein Post-it, das immer auf die erste Seite wanderte, über allem schwebte. Ich konnte jeden anderen Punkt verdecken, zu jeder Zeit, und die Zeit anhalten, wenn ich wollte. Das habe ich gespürt, aber nie absichtlich davon gebrauch gemacht, und als Karte ausgespielt. Und das weiß sie. Glaube ich jedenfalls.