Es gibt in der zweiten Folge von „Lerchenberg“ eine Szene, in der Sascha Hehn sich auf der „schwarzen Liste“ des ZDF entdeckt, einer fiktiven Auflistung all jener Personen, die als „schwierig“ gelten. Ob solche Listen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern tatsächlich geführt werden, wissen wohl außer der NSA nur wenige Insider, und man könnte geneigt sein, das für einen gelungenen Scherz zu halten.
Die Donaugasse an einem typischen Tag in Vilshofen
Manche erinnern sich vielleicht an meinen Artikel hier vor ziemlich genau einem Jahr, als geschah, was ich schon für unmöglich gehalten hatte – über meinen Videopitch erreichte ich das Interesse mehrerer Produzenten, und dann stand ich gleich vor der ungewohnten Wahl, mit wem ich den Optionsvertrag für „Einheimsch’n“ unterzeichne – mit der jungen Filmschaft in München oder doch lieber dem Riesen Wiedemann & Berg? Meine Wahl fiel auf die jungen, engagierten Kollegen, obwohl das auch bedeutete, den Regiestuhl zu räumen. Allerdings ließ ich mir ein Mitspracherecht vertraglich zusichern, und mir fallen viele Kollegen ein, in deren Händen mein Buch gut aufgehoben wäre.
Die folgenden Monate waren traumhaft. Intensive gemeinsame Arbeit am Buch, das dabei immer besser wurde, der Titel änderte sich in „Nirwana“ beziehungsweise „Come as You Are“, und ich fühlte mich sicher mit Produzenten, die hinter mir und meinem Projekt standen. Man liest und hört viel zu selten von denen, die ihre Sache gut machen. Torben Maas und Christian Füllmich gehören dazu, und bekamen wie zur Bestätigung beim „Bayrischen Filmpreis 2013“ die Auszeichnung als Nachwuchsproduzenten des Jahres verliehen – für ihren Erstling wohlgemerkt, nicht unser Projekt. Kurze Zeit später kam das First Movie Program mit ins Boot, deren Leiterin Astrid Kahmke ebenfalls sehr von unserem Film angetan war, sich lange mit mir unterhielt, tolle Fragen stellte, und ich mich wieder einen Schritt näher am Ziel wähnte.
Meine Produzenten ruhten sich nicht darauf aus, sondern setzten noch einen oben drauf und schickten mich und mein Buch zu einer erfahrenen Autorin und Dramaturgin in Klausur: Karin Michalke. Die Begegnung war für sich genommen schon filmreif, wurde nur leider nicht von einem Filmteam begleitet. Das war mehr als Drehbucharbeit, eher eine eingehende Psychoanalyse aller Figuren, für die ich stellvertretende auf der Couch lag – alle nacheinander, während ich mitstenografierte. Das alles im Expresstempo, gnadenlos, erschöpfend, fantastisch. Dabei flog mir sogar ein neues Ende zu; eines, das mir das Problem löste, das ich sechs Jahre lang für unlösbar gehalten hatte: Ein Happy End, das realistisch ist und trotzdem den Figuren treu bleibt. Wieder war ein neuer Titel fällig: „Neuland“.
Während des diesjährigen Münchner Filmfests im Juli war es dann so weit: Ich hielt als einer von zehn ausgewählten Autoren einen dreiminütigen Pitch vor Branchenvertretern, live, auf einer Europalette stehend, mit Mikrofon in der Hand. Wie eine sehr billige Variante von „Deutschland sucht den Superstar“ oder einer beliebigen anderen Casting-Show, und man war gezwungen, bestenfalls wie ein erfahrener Stand-up-Comedian an einem schlechten Tag zu wirken, egal, ob man das Talent dazu hat oder nicht. Besser unfreiwillig komisch als gar nicht – eine Horrorvorstellung für viele Autoren, die in der Regel nicht für ihre Extrovertiertheit bekannt sind. Es waren auch Redakteure vom BR anwesend, Frau Dr. Claudia Gladziejewski, deren Ablehnungsschreiben ich im Vorjahr publiziert hatte, war zwar namentlich eingeladen, aber leider nicht persönlich vor Ort. Dies wäre die Gelegenheit gewesen, reinen Tisch zu machen und den langen Anlauf zu vergessen. Ein Wort hätte genügt, alle Anstrengung und der unglückliche Start wären Schnee von gestern gewesen. Viele Kollegen hatten mir ja erzählt, wie umgänglich sie sei, und wer weiß, vielleicht hatten sie und ihre Redaktion voriges Jahr mit ihrer (von mir veröffentlichten) Beurteilung ja Recht gehabt. Ob ich später damit Partner gefunden habe oder nicht – jetzt waren wir da, die Karten neu gemischt, Ende gut, alles gut.
Der erste, der nach dem Pitch auf uns zu kam, war dann aber Jörg Schneider von der Redaktion des Kleinen Fernsehspiels des ZDF – wie ich später erfuhr, redeten die Kollegen vom BR währenddessen mit einem meiner Produzenten. Dies war meine erste Begegnung mit der im Vorfeld so gefürchteten Spezies „Redakteur“, und was soll ich sagen: Selten hat jemand auf mich einen derart positiven ersten Eindruck gemacht. Ist das ein Wunder, wenn jemand fragt, warum ich bei diesem persönlichen Projekt eigentlich nicht selbst Regie führen wolle? Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Er hatte noch weitere schlaue Fragen und ich fühlte mich angenehm gefordert und erzählte (zum Entsetzen meines anderen Produzenten – weil wir uns in dem Punkt noch gar nicht einig waren) frei heraus was für ein tolle Ende ich nun für die Geschichte hätte. Man wollte in Kontakt bleiben, Visitenkarten wurden ausgetauscht, es folgten Gespräche mit einem Weltvertrieb, Lisa Giehl vom FFF Bayern, die einen Termin im August mit mir ausmachen wollte, sowie einer Künstleragentur. Ich konnte mein Glück kaum fassen, glaubte wohl zu träumen, unterhielt mich mit den Kollegen, knüpfte neue Kontakte, und tauschte mich mit Astrid Kahmke über unsere bisherigen Highlights des Münchner Filmfest aus: Ihr Favorit zu der Zeit war „Ich fühl mich Disco“, meiner „Eltern“ von Robert Thalheim. „Finsterworld“ sollte ich erst am folgenden Tag sehen, und kein anderer Film hätte vom Titel besser zu dem passen können, was mich erwartete.
Am nächsten Tag erreichte mich der Anruf meiner unter Schock stehenden Produzenten, dass man mich aus dem First Movie Program geworfen habe, der BR sich von dem Projekt distanziere, ebenso der FFF, und dass sie nach dem Filmfest persönlich bei Frau Dr. Gladziejewsk vorstellig werden müssten. Bitte was? Ein schlechter Scherz? Leider nein. In mein Gedächtnis hat sich eingebrannt, wo ich zum Moment des Telefonats stand: im Hugendubel am Marienplatz, dritter Stock. Alles was vorher war, nur geträumt? Das kommt mir tatsächlich so vor, denn seit dem Pitch habe ich niemanden mehr persönlich gesprochen. Meine Produzenten noch telefonisch, aber sonst habe ich seit dem Ereignis keinem der Beteiligten mehr persönlich gegenüber gestanden (diese Zeilen schreibe ich fünf Monate später nieder). Welche Klasse meine Produzenten haben, bewiesen sie am Abend jenes Tages, weil sie nicht wollten, dass ich ihn allein verbringe. In der Zwischenzeit hatte ich noch „Finsterworld“ gesehen und war innerlich so am Boden wie lange nicht. Den SMS-Verkehr habe ich noch immer auf dem Telefon – sie hatten sich tatsächlich Sorgen gemacht. Wäre ich nicht mit Freunden zum Grillen verabredet gewesen, hätte ich ihr Angebot bestimmt dankend angenommen. An dem Abend wollte ich wirklich alles andere als allein sein.
Für das bevorstehende Meeting meiner Produzenten mit dem BR habe ich ihnen vor meiner Abreise ein paar Vorschläge mit auf den Weg gegeben: Dass der BR den Film unter Pseudonym, unentgeltlich oder ganz ohne mich haben könne – Hauptsache, er wird gemacht. Eine Bitte um eine Trennung von Urheber und Inhalt also; man nehme bitte die Geschichte und schicke nur mich in die Wüste. Wie das Gespräch mit Frau Dr. Gladziejewsk verlaufen ist, kann ich nicht aus erster Hand sagen, schließlich war ich ja wieder nicht dabei. Schlimmer noch, ausgerechnet jenen drohten jetzt möglicherweise Repressionen, die an das Potenzial meiner Geschichte glaubten, und denen ich diese als „Erziehungsberechtigte“ überlassen hatte. Was in dem Gespräch dort vom Tisch gewischt wurde, war unsere gemeinsame Arbeit, ohne die neue Fassung überhaupt eines Blickes zu würdigen. Man berief sich knapp auf die „Beurteilung des Stoffs“ aus dem Vorjahr, und würde jetzt wieder identisch entscheiden. Zur Erinnerung: Meine auf wahren Begebenheiten beruhende, in Niederbayern spielende, großteils auf Bayrisch geschrieben Geschichte passte damals „inhaltlich und formal“ nicht zum Sendegebiet des BR. Gerne hätte ich meinen Stoff mal persönlich verteidigt, schließlich hat bislang ohne Ausnahme jeder Feuer gefangen, der sich auf eine Begegnung mit mir eingelassen hat. So sitze ich nur wieder wie Erwin Schrödinger vor der Black Box des BR und frage mich, ob meine Katze darin tot, lebendig oder irgendwie beides gleichzeitig ist.
Fakt ist, dass seit dem Pitch niemand mehr mit mir kommuniziert, der dem BR nahe steht oder mit ihm verknüpft ist. Weder die dortige Redaktion, noch das First Movie Program oder der FFF. Alles was ich an Belegen dafür habe, ist das abrupte Ausbleiben an Reaktionen, die unbeantworteten E-Mails an Astrid Kahmke, die telefonische Unerreichbarkeit. Gäbe es nicht die Möglichkeit, mir von neun Kollegen bestätigen zu lassen, dass ich tatsächlich da war, könnte man ins Zweifeln kommen. Und noch sprachen meine Produzenten ja mit mir. Also blieb uns noch eine Chance. Denn mit dem Zweiten sieht man besser.
Noch ehe er aus seinem Urlaub zurück war, meldete ich mich mit einer E-Mail bei Jörg Schneider und schilderte ihm die Vorgänge in München. Anfang August telefonierte ich kurz mit ihm. Er bezeichnete meine Ausführungen als „mysteriös“ und versprach, sich zu melden. Die Antwort blieb aus, von Paranoia getrieben, rief ich wiederholt an, aber kam nicht mehr durch, scheiterte an der freundlichen Assistentin, die mir riet, noch einmal eine E-Mail zu schreiben, was ich dann auch tat. Eine Antwort erwartete ich aber schon nicht mehr. Ohnehin war das Kleine Fernsehspiel die falsche Adresse für mein Projekt, zu klein deren Spielraum, um ein Projekt wie dieses zu stemmen. Doch Herr Schneider wollte uns weiter helfen. Das Wunder geschah: Er meldete sich, bat um ein Treatment und eine Kalkulation, dann würde er sehen, was sich machen ließe.
Das Treatment schickte ich ihm sofort, und bat meine Produzenten, dass sie sich bei ihm mit einer Kalkulation melden – und dann kam es, wie es kommen musste: Der weitere Umgang mit mir und meinem Projekt wurde ihnen zu heiß, und sie lösten den Optionsvertrag, unter dem sie auf den Tag genau heute vor einem Jahr ihre Tinte gesetzt hatten. Das kann ich nachvollziehen, weil ich sehe, wo sie ihren Firmensitz haben und von wessen Wohlwollen sie abhängig sind. Und so trennten sich unsere Wege, freundschaftlich, bitter, nach konstruktiver Zusammenarbeit.
Ohne Produzenten hilft mir aber auch ein Redakteur nicht weiter. Also wärmte ich den Kontakt zu Peter Fröhlich bei Wiedemann & Berg wieder auf, und schickte ihm das Drehbuch. Preisfrage: An wen wird er sich mit diesem urbayrischen Projekt als TV-Kooperationspartner wenden? Mit dem BR und Claudia Gladziejewski haben sie bereits „Das Leben der Anderen“ produziert, also ist meine stille Hoffnung, dass das gleiche Projekt bereits zum dritten Mal auf dem gleichen Schreibtisch landet. Vielleicht irre ich mich, und auch Frau Dr. Claudia Gladziejewski ist unschuldig, auch wenn der gegenteilige Eindruck entstanden sein dürfte – ihr Name ist der Einzige, der wiederkehrt, auf Dokumenten, Einladungen und in Gesprächen. Trotzdem gilt die Unschuldsvermutung, schriftlich gibt es nichts Belastendes, und persönlich war sie für mich nie zu sprechen.
Inzwischen ist mein Optionsvertrag in München auch offiziell ausgelaufen, und ich stehe wieder genau da, wo ich schon vor einem Jahr war, und wieder teile ich mit euch diese Geschichte. Warum erzähle ich das alles? Noch dazu so detailliert, mit Namen? Immerhin begehe ich damit beruflichen Selbstmord. Ich erzähle das, weil es uns Urhebern, und damit meine ich nicht nur die Autoren, täglich so ergeht, wenn wir unsere Projekte verkaufen müssen, an denen wir zum Teil seit Jahren arbeiten (wie ich an diesem seit sieben), und damit wieder und wieder vor die unsichtbaren Wände laufen. Auf der anderen Seite sehen wir die Zuschauer, die sich längst von deutschen Produktionen abgewendet haben, die beharrlich keine Gelegenheit auslassen, zu wiederholen, dass es keine Kreativität mehr in Deutschland gebe, und auch für die Suche nach den wenigen vorhandenen Lichtblicken keine Geduld mehr aufbringen. Trotzdem müssen sie selbst in dieses System einzahlen. Dabei würde man ihnen gerne beweisen, dass wir es anders können und rennen weiter jeder für sich allein gegen diese Wände, bis wir frustriert zusammenbrechen. Warum allein? Weil unsere Verbände nicht in der Lage sind, eine gemeinsame Stimme zu finden, und wir damit keine Lobby haben, die unsere Interessen vertritt. Moment … Wir haben keine Lobby?
Ganz im Gegenteil, ich behaupte jetzt mal, dass wir die größte Lobby überhaupt haben: Die Zuschauer, das Publikum, die Fans. Nur machen wir unseren Einfluss nicht geltend. Vielleicht nur deshalb, weil uns niemand gesagt hat, dass wir es können. Also erzählen wir ihnen diese Geschichte. Darum erzähle ich meine. Und ich möchte, dass ihr sie weitererzählt, und zwar den Sendern. Also nicht meine vergeblichen Versuche, diesen Film zu machen, sondern den Film. Denn genau von so einer stillen Revolution erzählt er: vom Finden der Freiheit, Ost wie West, im September 1989. Wer sich dafür einsetzt, ist Teil jener Generation 89. Ich fordere zum zivilen Zuschauerungehorsam auf! Nehmt mein Exposé (alles Nötige dazu ist hier verlinkt, oder schreibt euer eigenes nach der Lektüre des Treatments, und schickt es – ganz wichtig – unter einem neuen Titel an jede Produktionsfirma, jeden Produzenten, jeden Sender in diesem Land. Ihr kommt damit durch, denn auf den Listen in den Köpfen stehen nur mein Name und meine Filmtitel, mit dem Inhalt hat sich niemand auseinandergesetzt – außer Autorenkollegen, und die bescheinigten schon letztes Jahr meinem abgelehnten Drehbuch große Klasse.
Es ist unglaublich: Diejenigen, die tagtäglich darüber entscheiden, was produziert wird oder nicht, lesen nichts mehr, ehe man es ihnen nicht als Stand-up-Comedian erfolgreich vorgespielt hat. Gute Autoren sind selten beides, und ich habe wohl noch mal Schwein gehabt. Und so bleiben am Ende die übrig, deren verkrampft lächelnde Gesichter man bereits von den Sektempfängen bei Festivals kennt, und nicht die besten Geschichten.
So bleibt alles unter sich – die Handvoll „Tatort“-Autoren, der Prosecco-Club und unsere Gebühren. Höchste Zeit also, dass sich etwas ändert, und sich die Urheber mit dem Publikum zusammentun. Wenn es wahr ist, dass Redakteure nur das in Auftrag geben und produzieren lassen, was sie schon kennen oder ihnen bekannt vor kommt, dann müssen wir sie eben an neue Stoffe gewöhnen. Wir konfrontieren sie so lange mit der gleichen Idee, bis sie ihnen bekannt vor kommt. Wir geben euch unsere Geschichten, dann hauen wir sie den Sendern gemeinsam um die Ohren – und erst dann, nur dann haben wir eine Chance. Wenn sie mein Buch aus eurer Hand nehmen, machen wir Halbe Halbe. Ehrenwort eines Autoren. „Einmal drauf, kommt man nicht so leicht wieder runter,” sagt die Sekretärin in der eingangs erwähnten „Lerchenberg“-Folge. Soll uns recht sein, Hauptsache Autoren und Publikum finden irgendwo wieder zueinander, und wenn es auf den schwarzen Listen ist.
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Symbolisch für die hier vorgeschlagene Variante eines Publikumsvertrags, erscheint dieser Artikel gleichzeitig auf dem out-takes.de Blog, sowie auf moviepilot.de – womit Urheber wie Publikum gleichermaßen dazu aufgefordert sind, sich die Bälle einander künftig selbst zu zuspielen.
Hallo Jens, habe gerade deine Mail gelesen und muss gestehen, ich muss das nochmal in aller Ruhe machen. Viel (trauriger) Stoff und dennoch unglaublich viel Wille deinerseits. Traurig und unglaublich!! Melde mich, wenn ich alles nochmals gelesen habe habe.
Christian