Gestern hatten wir ein Kind mit Armbruch und leichtem Fieber in der Notaufnahme, das nicht zu beruhigen war. Die Mutter hatte schon Kopfschmerzen deswegen. Immerhin deutete nichts auf einen Ignivomus hin, sondern es sah nach einem echten Unfall aus, der Vater war gar nicht dabei. Der Kleine guckte ängstlich zwischen uns Fremden und seiner Mutter hin und her, als mir aufging, dass das vielleicht an unseren Masken lag, also ging ich in die Hocke und nahm meine ab. Mein lächelndes Gesicht half, dass Schluchzen wurde weniger heftig, und er ließ sich den Arm schienen. Es dauerte gefühlt ewig, bis der Gips angelegt war, aber die Aussicht, dann wieder nach Hause zu dürfen, half deutlich.
Daniel hat eben angerufen, und zwar wie ich gehofft habe, wegen dem Video, das ich ihm vorgestern ohne Kommentar geschickt hatte: Ein Ausschnitt aus einem kanadischen Dokumentarfilm von 1971, in dem der minderjährige Alex Lifeson mit seinen Eltern diskutiert. Das ist noch vor dem ersten Album und allem, und da war er bereits Vater.
„Du …“, drohte Daniel dunkel. „Du Schuft, du.“
„Dei Lätta, dei!“, rief ich automatisch, wie im Text unseres unvollendeten Songs: „Lätt’ it be“, einem Walzer.
„Ich hab Rotz und Wasser geheult wegen dem Video. Wo hast du das her?“
„Bin während der Nachtschicht darüber gestolpert und beinahe vor dem Laptop dehydriert.“
„Glaub ich dir. Und danke, das hat mir den Kopf gerade gerückt.“
„Ist es nicht irre, wie gesittet die miteinander sprechen? Das liegt unmöglich allein an der Anwesenheit der Kamera. Ich mein, das sind Jugoslawen.“
„Serben, aber ich weiß, was du meinst. Das ist mir auch aufgefallen. Ich wünschte mein Vater hätte nur einmal so mit mir gesprochen. Und ich meine, das ist nachdem er seine Freundin geschwängert hat, er minderjährig Vater geworden ist und immer noch zur Schule geht.“
„Und vor 50 Jahren“, ergänzte ich.
„Ja. Und im Gegensatz zu ihnen allen, wissen wir wie die Geschichte weiter geht.“ Daniel atmete durch, er war wieder den Tränen nahe, das spürte ich. „Wenn er dann von seiner Freundin spricht, die er wenige Jahre später heiraten wird … man hält es kaum für möglich, aber mir kam alles wieder hoch, nur dass wir uns hier um ein totes Kind gestritten haben.“
„Daniel, ich …“