Was soll ich von all dem halten? Ehrlich gesagt, weiß ich es selber noch nicht. Der Reihe nach. Ich musste Schwester Anita aber eben versprechen es ihr gleich in den Pausen vorzulesen, wenn ich ihr schon nicht verraten wolle, was es mit meinem blauen Auge auf sich hat. Mit dem Kompromiss konnte ich leben.
10. Juli 2020 – Anreise und erster Tag
Rückwirkend bin ich jetzt doch froh, dass mich Mama dazu genötigt hat den gleichen Minivan zu mieten, wie sie ihn vom Altenheim gewöhnt war. Zwar in einer anderen Farbe, aber kaum dass sie drinnen saß, lenkte sie das nicht mehr ab. Vielleicht lag es am Automatikgetriebe, oder sie wollte es mir heimzahlen, dass sie uns fahren musste. Aber im Zug mit Maske wollte sie dann auch nicht sitzen.
Der Ford hat Platz für 9 Personen und reichlich Stauraum, also gab es nicht das geringste Problem beim Einräumen, nicht einmal mit meinem Schlagzeug.
Wir waren früh aufgebrochen, brauchten mit Pause aber doch fast sieben Stunden. Genug Zeit also, um ihr das mit den Enkeln schonend beizubringen. Es lag mir bleischwer auf der Zunge, und mir wollte kein Weg einfallen. Als wir dann eintrafen, legte sich Mutter erstmal hin, während ich auf die anderen wartete.
Als erstes trafen die Berliner ein.
„Um Himmels Willen, wen hast du denn noch alles dabei?“, fragte Daniel mit Blick auf den Minivan, aus dem ich gerade mein Schlagzeug auspackte.
„Niemand, nur mich und Mutter“, sagte ich und versuchte mich an einem entspannten Lächeln, während Nadja Rucksäcke vom Rücksitz entgegen nahm, und Stück für Stück die Zwillinge frei räumte. „Vielleicht sollten wir tauschen? Ich kann irgendwie nicht glauben, dass ihr alle in dem Ding gesteckt habt.“
„Wir haben kaum alles untergekriegt. Ich hab auch nur einen besseren Brüllwürfel als Verstärker dabei.“
„Warum hast du denn keinen größeren Wagen gemietet?“
„Rate mal, wer sich da geweigert hätte in einen Benziner oder Diesel zu steigen …“
„Oh, der Honda ist elektrisch?“
„Hyundai, aber sonst: ja. Von einem Arbeitskollegen geliehen, sonst wären wir vermutlich mit Lastenrädern aufgebrochen“, sagte Daniel mit einem Seufzer und streckte sich.
Nacheinander begrüßte ich Nadja, Clara und Dennis, dann stand ein junger Mann vor mir und streckte die Hand aus.
„Hi, ich bin Mario.“ Der Kerl sah aus wie der junge Matt Cameron als er bei Soundgarden einstieg (nur mit schwarzen Haaren), trug ein weißes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, dessen verknitterten Eindruck glatt zu streichen er längst aufgegeben hatte.
„Johann“, sagte ich, ergriff seine Hand und drückte sie. „Ich habe schon viel von dir gehört.“
„Ebenso, „erwiderte er. „Vielen Dank für die Einladung und … alles.“
„Keine Ursache.“ Ich deutete auf die Rezeption. „Wollt ihr erstmal einchecken und euch frisch machen?“