Diese Corona-Scheiße ist eigentlich auch wie der Mauerfall, alles ist in Bewegung, man spürt die Veränderung, die in der Luft liegt, hat eine Ahnung. Vielleicht fühlen Tiere so, wenn ein Erdbeben kommt. Man möchte fliehen, weiß aber nicht wohin, oder ob es sicherer wäre an Ort und Stelle zu bleiben. Gesellschaftlicher Wandel ist auch eine Form von Erdbeben, und wenn er in der Luft liegt, dann schnürt es sie einem manchmal geradezu ab. Ob sich das auch ’33 so angefühlt hat? Als dann der Reichstag brannte, und die Krankheit, dessen Erreger schon so viele verinnerlicht hatten, offen ausbrach? Wie wird es mit Corona sein, eher 33 oder 89?
Habe ich gerade wirklich Parallelen zwischen der friedlichen Revolution und der Corona-Pandemie gezogen? Vielleicht sollte ich besser wie gestern mehr an die frische Luft.
Noch etwas geht mir gerade auf, und das sticht mir ein bisschen ins Herz. Seit ich mit Walentyna flirte und ausgehe, denke ich immer seltener an Nadja. Ich mag es mir nicht eingestehen, aber es ist so. Woher kommt dieser Wandel? Ich falle ja immer gerne darauf zurück, wenn ich gerade keine Partnerin habe. Wahrscheinlich ist das der eigentliche Fehler. Oder ist das ein Anzeichen dafür, dass das mit Walentyna was ernstes sein könnte?
So dumm ist der Gedanke eigentlich gar nicht. Um den Mauerfall herum war so viel in Bewegung geraten, dass die Wiedervereinigung überhaupt erst möglich machte. Wenn man damit bis 1991 hätte warten wollen, wäre bestimmt irgendetwas dazwischen gekommen. Manchmal muss man die Zeichen der Zeit wahrnehmen, selbst wenn nicht alles perfekt ist. Andererseits haben wir deswegen bis heute damit zu tun. Das ist aber nicht unlösbar, man muss die Versäumnisse für den Anfang vielleicht nur mal benennen. Außerdem haben wir vorgemacht, wie es gehen kann.
Auch Corona hat gezeigt, dass die Regierung handlungsfähig ist, und ehrlich gesagt besser etwas übers Ziel hinaus geschossen, als zu wenig getan haben. Nur was heißt das auf privater Ebene? Ich komme Walentyna näher und bringe sogar die Familien wieder zusammen, während gleichzeitig Mindestabstände eingehalten werden müssen? Wobei es ja Ausnahmen für Familien gibt. Ich möchte, dass wir diese Ausnahme sind und uns versöhnen. Sonst sitzen wir eines Tages im Altenheim da und erinnern uns an Menschen, die es nicht mehr gibt, uns selbst eingeschlossen. Eingeschlossen in der Schule, auf die wir einmal gegangen sind, ob Gymnasium oder Schützengraben spielt keine Rolle.