Sehr merkwürdig ein Jahr so anzufangen. Also kurz vor Mitternacht auf einer fremden Silvesterparty im Haus zu klingeln, um nach einer Schere zu fragen, weil die eigene so stumpf ist, dass man sich damit ein Haar höchstens krümmen, aber bestimmt nicht schneiden könnte. Dabei kannte ich Manfred, den Gastgeber nicht mal, obwohl wir seit drei Jahren im gleichen Haus wohnen, wie ich jetzt weiß. Aber es war schon spät. Zu spät um noch bei Nachbarn zu klingeln, die ich kannte, auch wenn die wegen des Lärms eben jener Party bestimmt noch nicht schliefen. Ich fragte mich gerade, „Was reimt sich eigentlich noch auf Glück?“ als mir eine Besucherin gegen Widerstände im inneren der Wohnung die Tür aufruckelte und mir anschließend ihr übersprudelndes Bier auf das T-Shirt schäumte.
„Ups.“
„Kein Problem“, seufzte ich und verschluckte mich fast an der mir entgegenströmenden tropischen Luft aus dem Wohnungsinneren.
Sie taumelte unwiderstehlich an die Wand im ansonsten völlig überfüllten Flur. „Willst du nicht reinkommen?“ Jedenfalls glaubte ich das ihren Lippen abzulesen, denn ich hörte nur noch dreistellige Dezibelwerte.
„Nein, ich bin gar nicht eingeladen, sondern ein Nachbar aus dem zweiten Stock“, erwiderte ich verführerisch brüllend mit dem Vokabular eines Steuerprüfers.
„Ach.“ Sie legte den Kopf keck auf die Seite und fragte: „Was gibt’s denn?“
„Ich wollte …“ Ich sah hilfesuchend auf das Klingelschild. „M- Punkt Vukojević sprechen? Also wenn man das überhaupt so ausspricht.“
„Manfred? Der legt gerade auf. Aber niemand nennt ihn so. Alle sagen Vuko zu ihm.“ Dann hatte sie eine Eingebung, bei der erneut ein Schluck Bier aus dem Flaschenhals entkam und gegen die Wand klatschte, wie Insekten gegen eine Windschutzscheibe. „Darf ich ihm vielleicht einen Musikwunsch ausrichten, Herr Nachbar aus dem zweiten Stock?“
„Nein, vielen Dank. Und, äh, Johann. Hallo. Ich wollte mir eine Schere ausleihen.“
„Bastelst du gerade etwas, Johann, der sich-eine-Schere-ausleihen- will? An Silvester?“
„Ich will mir die Haare schneiden.“ Zum Beweis warf ich mir die offenen Haare über die Schulter.
„Geil. Warte hier, ich schau mal“, sagte sie und blieb gleich wieder stehen. „Oder nein, hol dir in der Zwischenzeit einen Drink in der Küche, ja?“ Und weg war sie.