War nochmal bei Dr. Heßler, aber er hat noch keine Zeit gefunden um eine Kassette aufzunehmen. Hab’s schon geahnt, dann halt nicht. Ist dann immerhin ein Gerät weniger, das ich mitschleppen muss, weil zum digitalisieren wäre ich jetzt nicht mehr gekommen, wie ich mich kenne. Im Zeit für was anderes finden bin ich schon ähnlich geübt.
Beinahe hätte er mich wieder in ein Gespräch um Züge und Zwillingsbrüder verwickelt, aber zum Glück konnte ich da die Weichen anders stellen. Über Amerika wollte er dann allerdings auch nicht reden.
„Du erinnerst dich doch an meinen Rat? Warte, bis dort der unweigerlich kommende Bürgerkrieg vorbei ist. Europa hat genug eigene Probleme.“
„Fang nicht wieder damit an! Ich meinte, was wenn es immer einfach so weiter geht und der wiedergewählt wird, wie der Schwiegersohndarsteller in Österreich?“
„Die sind sich ähnlicher, als man auf den ersten Blick denkt. Der Personenkult ist identisch. Lichtgestalten, Retter – -“
„Führer…“, ergänzte ich.
„Aber natürlich, wollte ich nur nicht laut sagen, weil das viele nicht hören wollen, auch wenn es stimmt.“
„Och, ich hör dir gerne zu, so lange es bei dir Freibier gibt.“
„Man merkt, dass du in Bayern sozialisiert wurdest“, seufzte er. „Hey, du musst nicht gleich beleidigend werden“, protestierte ich.
„Jedenfalls könnten die beiden sogar noch was voneinander lernen“, fuhr Heßler fort.
„Besser zu schreddern, oder woran denkst du da?“
„Auch das. Fakten stören nur. Die wirken wie ein Angriff auf das eigene Weltbild. Wenn ihnen z.B. jemand erklärt, dass sie nicht reich geboren worden sind, und es auch nicht mehr werden. Das was verkehrt läuft, wenn sie permanent zu Spenden aufgerufen werden, obwohl sie selbst kaum genug zum Leben haben. Aber denen ist es echt wichtiger, dass die anderen auch nichts kriegen. Dass jemand noch mehr leidet, als sie selbst.“
„Das geht mir nicht in den Kopf“, gestand ich. „Und Angst macht es mir auch.“
„Das ist echt ein harter Brocken, nicht wahr? Wie man so haßerfüllt sein kann. Komm, lass uns noch ein Bier aufmachen und Musik hören.“
Also legte er eine Bluesplatte auf, und als ich fragend auf das Kassettendeck deutete, verdrehte er nur die Augen und dann die Musik lauter. Dazu tranken wir ein obskures belgisches Flaschenbier, das mir sogar überraschend gut schmeckte. Alles war besser, als die Aachener Marken, aber ich vermisste einfach mein vertrautes Hacklberger. Wie sehr mir Brezen und Bier fehlen würden, hätte ich nicht im Traum gedacht. Da sind sie mir zwar noch nicht erschienen, aber warum können die hier kein Laugengebäck und trinken freiwillig diese bittere Plörre? Gut, mit Weißbier kann man mich auch jagen, aber ein ordentliches Helles? Wieso gibt es das nicht deutschlandweit? Oder wenigstens in den Großstädten? Immerhin kriegte ich Augustiner Edelstoff beim Durstlöscher. An der Sozialisation ist wohl doch was dran, aber das muss ich ihm ja nicht auf die Nase binden.
15. November 2019
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