„Das ist alles? Es tut dir leid?“ Sandra nahm einen tiefen Atemzug durch die Nase und brummte dann lange aus, als wolle sie mir den Hals zudrücken. Ich kannte diese Art zu Atmen sehr gut. Wir bringen es Schwangeren bei, weil zu „Tönen“ automatisch die Ausatmung verlängert. Allerdings raten wir zum Summen, weil das in der Regel entspannender wirkt, als jemanden erwürgen zu wollen. Vor allem auf die zu würgende Person. In welchem Monat war sie jetzt nochmal? Ich glaube im siebten oder achten. Sie sollte sich wirklich nicht so aufregen, aber ich wusste, dass ich im Augenblick der Letzte war, der sie darauf hinweisen sollte. „Lukas hat sich tagelang eingesperrt und abgesondert und war nicht mehr ansprechbar. So habe ich ihn noch nie erlebt“, fuhr sie fort. Das klang wirklich nicht nach ihm und gar nicht gut. „Ich wusste ja nicht was los ist. Musste es ihm aus der Nase ziehen, wie eine Hebamme, und ich dachte ich höre nicht richtig! Was habt ihr euch nur gedacht?“
„Unsere Absichten waren gut“, versuchte ich das Unmögliche zu erklären. „Jedenfalls anfangs.“
„Weißt du was mit guten Absichten gepflastert ist? Das Kinderbecken im Schwimmbad!“
„Können wir das bitte ein andermal besprechen? Heute ist echt kein guter Tag, Sandra, ich bitte dich.“
„Für dich wieder Frau Pregl, wenn i bitten derf!“, legte sie wütend nach. „Wenn es nach mir ginge, dann bist du aus der Patenonkelnummer raus, aber Lukas will – warum auch immer – daran festhalten. Das rede ich ihm schon noch aus, nur damit du Bescheid weißt. Männer wie du sind kein guter Umgang für meine Tochter. Wer Freunde wie euch hat, der braucht echt keine Feinde mehr. Im Stich gelassen habt ihr ihn, und dann auch noch belogen! Aber er verzeiht euch ja alles. Obwohl es immer er ist, der die für euch bestimmte Prügel einstecken muss.“
„Ich habe ihn nie geschlagen!“
„Vielleicht nicht mit Fäusten, Johann, dafür umso schlimmer mit deinen Lügen!“
„Das ist nicht fair! Ich wollte doch, dass er die Wahrheit über die Kinder erfährt.“
„Ja was glaubst du denn, warum es so lange gedauert hat?“
„Ich … also ich kann dir nicht mehr folgen.“
„Daniel hat ihm erzählt, dass er nach Bad Kissingen eigentlich den Kontakt wieder aufnehmen wollte, aber dann hätte ihn sein Vater ja noch einmal verprügelt, und ihr habt sicherheitshalber die Funkstille verlängert.“
„Ja, und?“
„Müsste sich dann nicht auch Lukas daran erinnern können?“
„Das … Moment, ich …“ Verdammt, wann war er jetzt das zweite Mal vom alten Speck verprügelt worden? Ich schwieg.
„Wusste ich es doch“, sagte Sandra triumphierend. Das ist auf eurem Mist gewachsen. „Und deswegen könnt ihr uns von nun an auch gestohlen bleiben.“
„Aber …“, versuchte ich etwas zu erwidern, doch ich sprach schon allein in mein Ende der Leitung.