„Weil die von meinem so viel besser ist, oder was? Das ergibt doch alles gar keinen Sinn!“ Da schoss es mir aus irgendeinem Grund durch den Kopf, dass ich seine Mutter finden musste. Total bekloppt. Wer weiß wie viele Jahre er sich den Scheiß schon eingeredet hatte und damit allein gelassen worden war. Auch von mir. „Du kannst nichts dafür. Niemand trägt daran die Schuld“, sagte ich wie gelähmt.
„Und wie wir die tragen. Ich habe sein Grab besucht, wieder und wieder um Verzeihung gebeten“, schniefte es aus dem Telefon.
„Und wieso habt ihr es den Kindern nicht früher gesagt?“, fragte ich, nur um ihn auf andere Gedanken zu bringen.
„Du warst es doch, der uns davon abgeraten hat!“
„Ich wusste es doch bis eben gar nicht!“
„Woher sollten wir das denn wissen? So blöd kann doch keiner …
Also es klang halt so einleuchtend! Von wegen ‚Kinder verplappern sich und womöglich nehmen sie euch dann die Kinder weg‘. Du hast uns eine Höllenangst eingejagt. Und jetzt ist auch unsere Schuld, weil sie es doch endlich wissen? Vielleicht solltest du dich mal entscheiden, was du wirklich willst, Johann!“
Und weg war er. Aufgelegt. Einfach so, wie immer. Aber es hat noch nie so weg getan und ich heulte mir die Seele aus dem Leib.
Ich bin eben doch mein Vater. Sogar schlimmer, er wusste immerhin, dass er mich gezeugt hatte. Aber ich? 17 Jahre keinen Schimmer! Ja, ich hab sie aufwachsen sehen und alles, war hier und da dabei, aber mein Gott, nein, ich bin genauso ein Monster wie er!
Was mich jetzt zusätzlich fertig macht: Nadja hat mich benutzt. Sie wusste, dass sie mich verführen kann. Ich war in Darmstadt wieder so verliebt wie am ersten Tag gewesen, und sie fühlte sich schäbig deswegen. Es war nicht, weil sie mich wollte, sondern für sie selbst und Daniel gewesen, ein letzter, verzweifelter Versuch ihre Beziehung zu retten.
Jetzt ist mir auch klar, warum sich niemand mehr bei mir meldet. Weder die Patenkinder noch Lukas. Ich habe sie alle enttäuscht und verraten.
Alles ist verloren.
In mir ist nichts.
Ich bin leer.
Ich lasse mir einen Bart wachsen, notgedrungen. Weil ich mich nicht mehr selbst in die Augen sehen kann, ich ertrage mein Spiegelbild nicht mehr.
Ach ja, die Tasse ist vorgestern beim Nachbar abgegeben worden, muss ich in der Aufregung wohl verpennt haben.
© Jens Prausnitz 2023