23.07.20

War gestern den ganzen Tag bei Walentyna. Mir schien es Monate her zu sein, dass wir uns gesehen haben. Wir telefonieren zwar beinahe täglich, aber es ist ein himmelweiter Unterschied dazu sie in den Armen zu halten.
Es waren noch keine fünf Tage seit meiner letzten Schicht vergangen, wir wurden unvorsichtiger, ließen aber die Fenster offen.
Ich war ein bisschen nervös, weil mir eine Frage auf den Lippen brannte. „Sind wir jetzt eigentlich zusammen?“
„Was ist denn das für eine Frage?“ Walentyna sah mich verblüfft an. „Muss man dir wirklich alles ausbuchstabieren?“
„Du hast mir sogar deinen Vornamen buchstabieren müssen, weißt du nicht mehr? Jetzt sag nicht, dass das überraschend für dich kommt.“
„Ja, Johann, wir sind jetzt schon seit einer ganzen Weile zusammen.“ Sie stand auf und kritzelte etwas auf einen Notizblock.
„Was wird das?“
„Eine Ausleihkarte“, sagte sie. „Macht der Gewohnheit. Wie heißen deine Eltern?“
„Moment … wer leiht hier wen aus? Ich dich oder du mich?“
„Ich dich. Unter Vorbehalt. Vielleicht gebe ich dich nach drei Monaten wieder zurück.“
„Du könntest mich auch einfach behalten und das Land verlassen, um Strafgebühren zu vermeiden.“
Sie schüttelte den Kopf. „Das ist den Aufwand nicht wert. Oder hast du etwas angestellt, weswegen wir das Land verlassen müssten?“
„Nein, aber ich würde … dich gerne einmal nach Polen begleiten. Zeig mir deinen Jesus.“
Sie sah mich aufmerksam an. „Ich überleg’s mir“, sagte sie vieldeutig und dann knutschten wir.
Während wir gemeinsam kochten, erzählte sie mir zum ersten Mal mehr von ihre Familie, wie ihre Eltern bei Ausrufung des Kriegsrechts im Westen geblieben waren, mitten in der Weihnachtszeit 1981. Ihre Mutter war eine Eisschnellläuferin, ihr Vater Journalist. Sie entschlossen sich spontan dazu im Westen zu bleiben, was sie damals als Neunjährige nicht verstanden hatte. Weil bisher wurden jede Weihnachten bei ihrer Oma verbracht. Weihnachten ohne ihre Oma waren einfach keine richtigen Weihnachten.
„Verstehst du das?“, fragte sie.
„Ja und nein“, sagte ich. „Ich kann mich kaum mehr an meinen einen Opa erinnern, aber ich habe mir eine innige Beziehung, wie du sie zu deiner Oma hast immer gewünscht. Vielleicht ohne es zu wissen. Ich würde deine Oma ja gerne kennenlernen.“

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