Woher Frau Mevlüde Genç die Kraft nimmt, um sich seit der Tragödie in Solingen unermüdlich für Versöhnung und Toleranz einzusetzen, übersteigt mein Begriffsvermögen. Von ihr will ich lernen ein besserer Deutscher zu sein, denn am liebsten möchte ich wie Indiana Jones Nazis die Fresse polieren. Für Nazis sind Menschen wie sie ebenso der schlimmste Albtraum, wie für uns Deutsche der Mitte; denn sie steht unerschütterlicher auf und zum Grundgesetz, als wir selbst. Unter manchen Kopftüchern steckt eben der Kopf einer Heldin. Wenn eine Verkehrsinsel nach ihr benannt wird, werde ich dort hinziehen/hinpilgern um in mich zu gehen.
Hier braucht niemand mit dem Finger auf die Thüringer Nazis zu zeigen, in Hessen sind doch schon vor Hanau reihenweise Zeugen gestorben. An natürlichen Todesursachen wie unentdeckter Diabetes, Lungenembolie oder spontanem Selbstmord im Auto, das man dann zur Sicherheit noch schnell anzündet. NSU kürzt man zwar mit drei Buchstaben ab, aber deswegen war er doch lange nicht zu dritt. Da lachen doch die Hühner, wo die Omas gegen Rechts Motorrad fahren.
Ich weiß noch, wie ich mit Daniel und unserer evangelischen Jugendgruppe einmal in Rammelsbach war, und wir Straßeninterviews in Passau machten. Eine freundliche alte Dame stand uns Rede und Antwort – wenn auch im sitzen, lächelte die ganze Zeit sympathisch, und erzählte uns, dass es zu viele Ausländer in der Stadt gebe und so weiter. Als wir fertig waren, uns bedankt und verabschiedet hatten, sagte sie noch beiläufig, dass damals „solche wie ihr“ von der Straße verschwunden wären. Da lief es mir eiskalt den Rücken runter, und wir hatten so viel mehr verstanden, als mit dem ganzen Fragebogen.
Solche wie wir: Deutsche. Einheimische. Oppositionelle. Linke, grün hinter den Ohren, Kranke. Bei den Schlägern und Glatzen weiß man wenigstens woran man ist, aber die wahre Gefahr sind jene, die dabei nur lächelnd zusehen, dann aber den gewonnenen Platz auf der Straße und die neue Ruhe im Treppenhaus genießen.
Alles kommt gerade wieder: der „Beileidstourismus“ von Helmut als „Asyltourtismus“ bei Horst, brennenden Häuser, Flüchtlingsunterkünfte, Steine fliegen, dann Brandsätze, aber im Gegensatz zu den frühen 90ern wird jetzt auch scharf geschossen. Es klang so ??? aus dem Mund der Kanzlerin nach den NSU Morden: Aufklärung, Suche nach Helfershelfern und Hintermännern, gerechte Strafe – sogar den latenten Rassismus in der Gesellschaft sprach sie an, aber passiert ist danach wieder nichts. Der Prozess schleppte sich über Jahre, Akten wurden angehäuft, und der einzige Eindruck, der sich verfestigte war das umfassende Versagen des Verfassungsschutzes und der Justiz. Die war nie auf dem rechten Auge blind; sie hat sich nur mit ihrem Rücken schützend davor gestellt, und „hier gibt es nichts zu sehen“ gesagt. „Doch!“ riefen wir und zeigten dran vorbei, riefen Untersuchungsausschüsse ein. „Na na na, nicht so laut,“ ermahnten sie uns. „Man zeigt nicht mit dem Finger auf andere. Drei zeigen auf euch, fangt bei euch selber an.“ Und dann erschoss der nächste Einzeltäter aus rassistischen Motiven gezielt ausländisch gelesene Mitbürger in München.