16.05.20

Natürlich war Lukas auch virtuell zu spät dran, also vertrieben Daniel und ich uns so lange die Zeit.
„Tolles Video, was du da hochgeladen hast. Ist das ein eigenes Stück?“, begann ich.
„Ja. Bekannte Stücke bergen das Risiko, dass die Videos gleich vom Algorithmus gesperrt, und Copyright-Ansprüche geltend gemacht werden. Dann kann man die nicht mehr monitarisieren. Das will ich eigentlich gar nicht, nur möchte ich mir das eventuell für später offen halten? Wer weiß wie lange das mit dem Virus noch geht … Erst möchte ich den Kanal etablieren, und deswegen fange ich halt so an.“ „Cool“, sage ich einsilbig. Als wir drohten einander anzuschweigen, brach ich die Stille. „Weißt du eigentlich noch, wie wir uns am Gymnasium kennengelernt haben?“
„Wir haben uns schon an der Ritter Tuschl kennengelernt.“
„Was? Aber auf die bist du doch gar nicht gegangen!“
„Nicht direkt, aber wegen dem Religionsunterricht? Uns handvoll Evangelische haben sie doch einmal die Woche aus dem ganzen Landkreis zusammengekarrt.“
„Ach, das habe ich oft geschwänzt.“
„Ich weiß, und ich habe dich darum beneidet, weil im Gegensatz zu dir musste ich jedes verdammte Mal hin.“
„Haben wir da überhaupt schon miteinander gesprochen?“
„Mehr einander zugenickt. Aber am Gymnasium hast du mich dann wiedererkannt, und das war dann wohl besser als nichts. Ich hab’s dir ja so heimgezahlt.“ Daniel formte aus Daumen und Zeigefinger einen Kreis. „Durchgeguckt!“
„Ach du … Moment“, stockte ich. „Da kommt das her? Das du mir auf die Schulter haust?“
„Was dachtest du denn?“ Daniel grinste breit. „Kann sein, dass ich ab und zu ein bisschen geschummelt habe, aber das war’s mir wert.“
Ich schüttelte den Kopf und wischte demonstrativ langsam mit der flachen Hand über meinen Oberarm. „Na warte … Wo war Lukas da eigentlich?“
„Na in der sechsten Klasse“, sagte Daniel. „Wie im nächsten Jahr auch.“
Das hatte ich vergessen. Oder gar nicht mehr auf dem Schirm, das erste Jahr am Gymnasium. Für mich war es ja weniger Schock, als für viele andere, weil ich eh schon daneben wohnte.
Das Gymnasium war vergleichsweise riesig, wie drei Schulen in einem. Vorne, im A-Bau gingen Kinder rein, und hinten im C-Bau kamen Erwachsene raus. Nicht die Lehrer, sondern Schüler! So lange war man da drinnen, wurde von dem Ding verdaut und erst wieder ausgespuckt, wenn einem aller Spieltrieb vergangen und ausgetrieben worden war. Wir hatten kein Übertrittszeugnis bekommen, sondern Lebenslänglich, ohne Verhandlung, ohne Verbrechen, verurteilt und bestraft, kein Verteidiger, keine Möglichkeit zum Einspruch oder Revision, neun Jahre ohne Bewährung. Im schlimmsten Fall noch länger, weil man sitzen blieb. Wie Lukas.

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