15.08.20

Bei den Bildern aus Minsk habe ich gerade wieder Gänsehaut wie 1989. Noch vor 6 Tagen, als die Polizei die Demonstrationen nach der erneuten Wahlfälschung zusammengeknüppelt, und Tausende verhaftet hat, sah es noch nach einem kurzen Aufflackern aus, das schnell erstickt und vergessen wird. Dann kamen die Demonstranten wieder, jedes Mal mehr und die Streiks der ersten Staatsbetriebe führten zu ihrem eigenen Spartacus-Moment, als ihnen die ewig gleichen Lügen aufgetischt wurden: Wer für die Opposition gestimmt hat, solle aufstehen. Gestern dann der Marsch der 10.000 in Minsk bis vors Parlament, Polizisten, die in Tränen ausbrechen, als sie von Frauen umarmt werden. Da bahnt sich eine friedliche Revolution an, eine echte. Die Menschen haben genug gelitten, und machen jetzt einen Unterschied. Die Streiks, die Blumen, die Mütter und Töchter, und der Despot stürzt, weil die Polizisten das offensichtliche Unrecht nicht länger ertragen.
Aber 1989 war es nicht nur die Abstimmung mit den Füßen, die zum Zusammenbruch der DDR führte. Ohne die Mutigen auf den Straßen von Leipzig und den anderen Städten, hätte etwas gefehlt. Beide Bewegungen haben die SED zusammen in die Zange genommen und am Ende geknackt.
Jetzt steht das „Tor zur Freiheit“ in Belarus offen, das Zeitfenster für Veränderung ist da, es ist sperrangelweit offen wie seit 30 Jahren nicht, mit allen Konsequenzen, Chancen und Risiken, die das mit sich bringt. Es wiederholt sich alles, und jetzt ist wieder Zeit für einen Wandel, und wenn es bis zu den nächsten Perseiden dauert, ich wünsche es ihnen. Für Morgen sind aber erstmal Jubelperser bestellt, der von sich selbst geblendete Sonnenkönig wird vor ihnen sprechen, und eine Gegenreaktion der Bevölkerung wird nicht ausbleiben.

Auch toll: England demonstriert, dass man Schule auch auswürfeln kann, so gerecht geht es da zu. Oder sollte ich stattdessen „so ausgerechnet geht es doch“ sagen? Die A-Levels wurden von einem Algorithmus neu vergeben, weil die Ergebnisse unter Pandemie- Bedingungen „zu gut“ ausgefallen waren. Das kann man sich doch nicht ausdenken, so was! Und oh Wunder, dieser Algorithmus bevorzugt jetzt „versehentlich“ die Elite und bessert deren Ergebnisse nach. Wer den wohl programmiert hat? Ich hab’s ja gesagt, es galten noch nie für alle die gleichen Regeln.

Wieder mit Walentyna telefoniert. Sie war ganz aufgelöst. „Ich weiß nicht, was du in meiner Wohnung gelassen hast“, sagte sie den Tränen nahe.
„Das würde ich dir jetzt sowieso verraten“, sagte ich. „Meine Wohnungsschlüssel. Eigentlich habe ich mir das anders vorgestellt, aber … falls es schlimmer wird und ich in die Klinik gehe, dann aber zu Hause etwas vergesse, dann … also jetzt für alle Fälle.“
„Du willst nicht deine Mutter bitten müssen, richtig?“, fragte Walentyna und jetzt war ich es, der zu schluchzen begann. „Überhaupt kein Problem. Gerne“, sagte sie so einfühlsam, dass bei mir alle Dämme brachen. „Wenn wir das hinter uns haben, dann fahren wir gemeinsam in Urlaub, ja? In die Berge.“
„In die Berge?“, fragte ich verdutzt. „Ich bin kein Berg Typ.“

Schreibe einen Kommentar

Schön, dass Sie kommentieren wollen, herzlich Willkommen! Vorher müssen Sie allerdings noch der Datenschutzerklärung zustimmen, sonst geht da nix. Danach speichert die Webseite Ihren Namen (muss gar nicht der sein, der in Ihrem Ausweis steht), Ihre E-Mail Adresse (egal ob echt oder erfunden), sowie Ihre IP-Adresse (egal ob echt oder verschleiert - ich hab keine Ahnung, ob Sie von Zuhause oder aus einem Internet-Café schreiben). Anders ist es mir nicht möglich zu gewährleisten, dass Sie hier kommentieren können, worüber ich mich sehr freue - denn es ist sehr frustrierend mit den mich sonst erreichenden, meist verwirrenden bis sinnfreien Werbebotschaften allein gelassen zu werden. Vielen Dank dafür, dass Sie da sind!

Noch ein kleiner Hinweis: Kommentieren Sie zum ersten Mal, erscheint Ihr Kommentar erst nach einer Prüfung des Inhalts, einzig um Spam von der Seite fern zu halten, in der Regel dauert das nicht länger als 24 Stunden - dabei handelt es sich nicht um Zensur, sondern um das limitierte Zeitfenster der berufstätigen Person hinter diesem Blog, die Ihnen den ganzen Krempel gratis zur Verfügung stellt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, und auf zur Checkbox.