Die Leitung des Lagers teilte Uwe sich mit Friedrich-Wilhelm Moog, der die politische Verantwortung trug. Ich kam nicht drüber weg, dass er nicht mit dem Erfinder des Moog-Synthesizers verwandt war, und nannte ihn deshalb trotzig hinter seinem Rücken Jean-Michel, was mir deutlich entspannter über die Lippen ging. Manchmal ahmte ich auch Melodien aus „Equinoxe“ oder „Oxygène“ nach, und meine Kollegen in der Küche kicherten. Uwe war halt mehr der Praktiker, wahrscheinlich war er mir deswegen von Anfang an sympathischer. Wie unfair und parteiisch man doch manchmal ist.
Außer dem Lager gab es dann noch Schlafplätze in der Dreifachturnhalle für Familien mit kleinen Kindern, und auf das andere Ende des Altersspektrums hatte sich Mutter mit ihren Kollegen im Altenheim vorbereitet. Nur dass es keine gab. Die Flüchtlinge waren ausnahmslos alle jung. Ich glaube Doris war mit Mitte dreißig schon eine unter den Ältesten dort; aber nicht nur sie, irgendwie sahen alle dort mindestens zehn Jahre jünger aus, als ihre Pendants im Westen. Dann gab es noch ein paar Schlafplätze im Kloster, der städtische Kindergarten lud tagsüber Kinder zu sich ein, und einige Vilshofener deren Eltern zum Abendessen.
Ich setzte in diesem Sommer alles auf F5, das Zelt, das für mich auf ewig mit Rothe belegt ist, fünf Buchstaben, eine Farbe, Rot inmitten von Schwarz, und noch so viel mehr. Nichts geht mehr, die Kugel rollt. Und obwohl ich damals dachte, ich hätte alles verloren, habe ich eigentlich nach und nach alles gewonnen, was ich mir nie zu erträumen gewagt hätte.
Jetzt haben wir bereits die Morgenstunden von 30. September, und ich schreibe seit einem Monat. Hat es was gebracht? Na ja, nicht direkt Antworten, aber bessere Fragen und damit auch neue Vorhaben:
1) Clara und Dennis müssen erfahren, wer Daniel und Nadine waren, wie aus Speck und Rothe neue Menschen wurden.
2) Lukas muss von Clara und Dennis erfahren. Und umgekehrt.
3) Geschenk für Schwester Heide besorgen.
Das ist doch eigentlich recht übersichtlich. Und ich schlafe mit dem ASMR Zeug wirklich besser, als vorher ohne. Allein dafür hat es sich schon gelohnt sich damit zu beschäftigen.
Oh, und die anderen Punkte gelten immer noch. Nur von Schwester Birgit werde ich die Finger lassen, bei den Zigaretten dauert’s wohl noch ein bisschen länger. Dafür hat Schwester Heide nichts dagegen, wenn ich mich heute schon vor der Übergabe aus dem Staub mache, weil… na weil ich sie drum gebeten hab.
© Jens Prausnitz 2022