„Weißt du noch, wie du auf dem Dach – -“
„Mei, verzöi des fei neamnd, Johann. Du host’s versprocha!“
„Und ich hab’s gehalten“, beruhigte ich ihn. „Das ist doch inzwischen verjährt.“
„Fia mi ned“, lachte Lukas. „Und wos, wann’d hundatsimme goa ned im Gym is, sondern woanders?“
Er war immer noch für einen überraschenden Geistesblitz gut, genau wie damals. „Lukas, du bist genial.“
„Woas i eh.“
„Noch was, Lukas“, ergänzte ich, schon im Auflegen begriffen. „Hat dich eigentlich noch mal jemand nach Daniel gefragt?“
„Uff, da muas i überlegn. Woat amoi…“
„Ist schon länger her, oder?“
„Mei, mindestens a poar Joar. I glaub zehne glanga da ned. Wieso frogst?“
„Ich konnt’ mich nicht erinnern, wann du mir zum letzten Mal was erzählt hast. Bevor’s Alzheimer ist, dachte ich frag ich“, bog ich mir eine passable Ausrede zurecht.
„Wahrscheinlich ois der oide Speck gstorbm is, da hod mi wer nacham Daniel gfragt.“
„Das wäre dann Anfang 2006 gewesen.“
„A scho wida ewig her. Kimmt mir ned so lang her vor.“
„Hast du nochmal von ihm geträumt“, fragte ich, und ahnte die Antwort.
„Ja, leider. Ein- zweimal im Jahr ist Hau-den-Lukas“, seufzte er. „De Drecksau. Aber immer no bessa ois fo der Schui dramma.“
„Vielleicht mag ich nur wieder zum Geistler gehn.“
„Endli sogst eps gscheidts“, lachte Lukas, und wir alberten noch ein wenig wie früher herum, dann legten wir auf.
Mich hat im Nachhinein überrascht, mit welcher Leichtigkeit ich eingewilligt hab, ihn in Vilshofen zu besuchen. Ich bin 30 Jahre nicht dort gewesen. Aber jetzt, nachdem ich angefangen hab darüber zu schreiben, ist mir sogar danach zumute. Als käme ich nach Hause. Dabei ist das albern. Wo bin ich überhaupt zu Hause? Hier? Dort? Ich weiß es nicht. Mit Mutter habe ich immer zur Miete gewohnt. Daniel auch, so weit ich weiß. Nur Lukas’ Elternhaus in Eging war da anders, dafür ist er dann selbst seitdem öfter in Vilshofen umgezogen, als wir anderen alle zusammen quer durch die Republik.
Ob es doch was anderes ist? Was suche ich dort, im Zimmer 107? Die Konfrontation mit einem Gespenst? Ist es das, was mich in meinen Albträumen dort in die Schule treibt? Kann man seinen Frieden nicht aus der Ferne machen? Vielleicht geht das nicht.
Verdammt, ich hab vergessen Lukas von ASMR zu erzählen! Ich wollte es ihm doch schreiben, und hab es natürlich vergessen. Als wäre er nicht mehr Teil meines Lebens. Es tut weh sich das einzugestehen, aber er hat lange eine viel zu kleine Rolle gespielt. Ich hab ihn vermisst und mich dann daran gewöhnt. Er fehlt mir. Und wie. Ich schreib ihm jetzt.
© Jens Prausnitz 2022
Anmerkung: Das hier erwähnte letzte Treffen der vier hat nicht bei Johann in Aachen stattgefunden, sondern an einem anderen Ort. Das wird zwar erst im zweiten Band nacherzählt, gehört aber zu der Art Detail, die sich im Laufe so eines Buchprojektes ändern können. In der letzten Überarbeitung ist das bereits korrigiert.